Sündenbock gesucht: Doch Baumgartner ist unschuldig

Ein sensationell schwacher Saisonstart bringt den Austria-Trainer Gerald Baumgartner in Bedrängnis. Kein Sieg, nur 3 Punkte aus 4 Spielen. Am Verteilerkreis herrscht Krisenstimmung. Selbst Wiener Neustadt konnte nicht geschlagen werden. Und alle fragen sich: Wie lange hält sich Baumgartner noch? Und wo ist eigentlich der Sportdirektor? Im Unterschied zur Vergangenheit bekommen mittlerweile auch jene Stimmen Gehör, die der Meinung sind, eine frühzeitige Entlassung wäre ein großer Fehler. Hier ist noch so eine.

 

ES WIRD NOCH BESSER WERDEN

Gerald Baumgartner will seine Mannschaft pressen und gegenpressen lassen. Ein Umstieg auf ein solches System benötigt immer enorm viel Zeit. Selbst mit individuell herausragenden Spielern, wie sie Salzburg in der Saison 2012/13 zur Verfügung gehabt hatte, und unter höchst professionellen Bedingungen, brauchte die Mannschaft fast ein Jahr, um das System zu begreifen und auf dem Platz umzusetzen. Die Saison war für Salzburg eine verlorene. Aus gegen Düdelingen, Aus gegen Pasching, Aus gegen die Austria. Trotzdem, entgegen der öffentlichen Erwartung, Roger Schmidt durfte sich weiterhin bei den Roten Bullen als Coach beweisen. Und er leistete einen großartigen Job. Mit extremen Pressing brachte man Fenerbahce ins Schwanken und Ajax in die Verzweiflung. Schmidt und seine Salzburger Bullen waren in aller Munde.

Aber hinter diesem großen Erfolg steckt viel Geduld und auch ein gutes Händchen am Transfermarkt. Man erinnere sich: Die Mannschaft, die sich Düdelingen geschlagen gab, war eine völlig andere, als jene, die ein Jahr später für Furore in der Europa League sorgte. Damals noch in der Aufstellung vertreten: Klingende Namen, wie Stefan Maierhofer, Gonzalo Zarate, Cristiano, Ibrahim Sekagya, David Mendes da Silva, Georg Teigl, Stefan Hierländer – heute sind sie in Salzburg Geschichte. Es waren größtenteils Spieler, denen man den Umstieg auf das Pressing orientierte System nicht mehr zutraute. Stefan Ilsanker spielte im Rückspiel sogar in der Innenverteidigung. Ein Jahr später war er ein unverzichtbarer Teil des Mittelfeldes geworden. Sinnbildlich dafür, dass es vor allem Zeit und die richtigen Spieler benötigt, um das System Pressing spielen zu lassen. Auf die wird nun Gerald Baumgartner angewiesen sein.

 

EIN BLICK AUF DIE ZEIT

Um dies zu veranschaulichen, hier die bisherigen 4 Heatmaps aus den Spielen der Austria. Von links nach rechts sind hier die Heatmaps von den Spielen gegen Grödig, den WAC, Altach und Wr.Neustadt aufgelistet. Die Spielrichtung ist dabei von unten nach oben.

Quelle: Opta/Bundesliga.at
Quelle: Opta/Bundesliga.at

Sinnbildlich für ein hohes Pressing wäre eine tiefrote Zone zwischen zweitem und drittem Drittel. Mehr dazu, kann bei Momo Akhondi gelesen werden, der für 90minuten.at eine Analyse des Spiels der Wiener Austria, abgeliefert hat.

Wir sehen, diese rote Zone ist am Entstehen und wird von Spiel zu Spiel stärker. Gegen Grödig fand das Offensivspiel der Austria noch vor allem auf den Seiten statt, gegen den WAC ähnlich. Gegen Altach und Wr.Neustadt verlagerte sich das Spiel immer mehr nach vorne. Ein Zeichen dafür, dass es besser wird, dass das Baumgartner´sche System immer besser am Greifen ist.

Aber auch dafür, dass die Mannschaft nach den vielen Systemumstellungen in den letzten Jahren, durch die vielen Trainerwechsel bedingt, den Anweisungen des Salzburgers vielleicht noch nicht so richtig folgen konnte – und er vielleicht nur bedingt schuldig an den bisher schwachen Ergebnissen ist.

 

NICHT DAS IDEALE PERSONAL

Doch die Spieler brauchen nicht nur Zeit, sie benötigen auch die nötige taktische Ausbildung, um im aggressiven Pressing und Gegenpressing immer die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Wie schon weiter oben erwähnt, viele Spieler mussten in den vergangen Jahren viele Systemumstellungen mit sich tragen. Die Mannschaft ist im Stamm immer noch dieselbe, die schon mit Peter Stöger Meister wurde, und die vergangenes Jahr den Einzug in die Champions League Gruppenphase vollbrachte. Zwischen Peter Stöger und Gerald Baumgartner gab es bekanntlich auch noch Nenad Bjelica und Herbert Gager – alle vier Trainer brachten eigene Spielsysteme mit sich. Wir blicken hinüber zum großen Vorbild Red Bull Salzburg: Dort hat Hütter das System Roger Schmidts übernommen. Die Mannschaft spielt damit schon seit 3 Jahren kontinuierlich dasselbe System.

Im Spiel gegen den SC Wr.Neustadt rückte Kevin Kampl, durch die Verletzung Ilsankers bedingt, in die Zentrale und übernahm damit eine ähnliche Rolle wie De Paula oder Grünwald bei der Austria. Man sehe sich jedoch im Vergleich die Balleroberungen Kampls an, und dann jene von De Paula und Grünwald gegen den SCWN.

Quelle: Opta/Bundesliga.at
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Insgesamt 11mal konnten die Statistiker Ballsicherungen, Balleroberungen, oder erfolgreiche Tackles von Kevin Kampl registrieren. Verteilt über den ganzen Platzt, was auch beweist, wie weite Wege Kampl geht. Um dies weiter zu unterstreichen, hier noch die Heatmap Kevin Kampls aus der ersten Halbzeit gegen Neustadt (in Halbzeit 2 rückte er auf die LA-Position).

Quelle: Opta/Bundesliga.at
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Dennoch zu erkennen ist, wie weit die Wege von Kampl sind. Er befindet sich ganz vorne, oder ganz hinten, selten aber hält er sich tatsächlich in der Mitte des Spielfeldes auf. Das kann er auch gar nicht, befinden sich dort doch die hoch aufrückenden Salzburger Innenverteidiger – ein entscheidender Unterschied zwischen den Mozartstädtern und den Favoritnern.

Hier noch zum Vergleich, die Defensivaktionen von De Paula und Grünwald auf dem ersten Bild und die Heatmap von De Paula und Grünwald auf dem zweiten Bild, beides Statistiken aus dem Spiel gegen Wr.Neustadt. Die Heatmap ist dabei nur als jene der ersten Hälfte zu betrachten.

Quelle: Opta/Bundesliga.at
Quelle: Opta/Bundesliga.at

Zu zweit brachten es David De Paula und Alexander Grünwald auf 14 defensive Aktionen. Davon immerhin 9 von De Paula.

Quelle: Opta/Bundesliga.at
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Auffallend an der Heatmap: Der große Fokus im zweiten Spieldrittel. De Paula, halblinker Achter, und Alexander Grünwald, halbrechter Zehner, können ihr Spiel beide nur sehr selten in das vorderste Spieldrittel, oder in dessen Nähe, verlagern. Der FAK steht also deutlich tiefer als zum Beispiel Red Bull Salzburg.

Warum ist das so? Man darf daran glauben, dass das System für De Paula und Grünwald einfach noch ungewohnt ist. Generell muss sich das Spiel der Austria weiter in das vorderste Spieldrittel verlagern – bislang beherrscht noch Herumgeschiebe im ersten und im zweiten Spieldrittel das „Aufbauspiel“ von Baumgartners Mannschaft.

Was viel Mut macht: Bisher stach Mario Leitgeb im Pressing positiv aus dem Kollektiv heraus. Leitgeb weiß, was er zu tun hat. Im Vorjahr stand er noch bei Grödig unter Vertrag. Trainer dort? Der heutige Salzburg-Coach Adi Hütter. Der Kreis schließt sich.

Im Spielaufbau tut sich aber auch Leitgeb noch schwer. Generell fehlt es der Austria an wirklich überraschenden oder technisch fein zu Ende gespielten Kombinationen. Bei Ballbesitz herrscht bei zwei Drittel der Mannschaft Stillstand – oder es werden sinnlose Laufwege gegangen.

Das Pressing greift noch nicht ganz, doch es wird werden, Verbesserungen sind ständig zu beobachten. Ein vielleicht größeres Problem ist sogar der Spielaufbau. Auch Momo Akhondi ist dieser Meinung – und er hat damit nicht unrecht.

 

STATISTIKSCHMANKERL

Um diese Annahme zu bestärken, reicht ein Blick auf die gewöhnliche Spielstatistik. Zu vergleichen ist immer der Ballbesitz der Austria, mit den Schüssen bzw. den Schüssen auf das Tor, von der Austria. Das Ergebnis ist erschreckend.

Quelle: Opta/Bundesliga.at
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Im Durchschnitt ergibt das einen Ballbesitz von 58,7%, bei 13,5 Schüssen pro Spiel, wovon gerade einmal 5,25 auf das Tor gehen.

 

WIRD ES BESSER?

Für den österreichischen Fußball kann man nur hoffen, dass der Austria-Vorstand Baumgartner noch Gewähren lässt. Immerhin, eine positive Entwicklung macht sich eindeutig bemerkbar. Vor allem das Pressing, einer der wichtigsten Bausteine Gerald Baumgartner, wird tatsächlich immer besser und ähnelt immer mehr jener Form, die es schlussendlich haben sollte.

Kritisiert werden muss aber die Transfer – und Trainerpolitik des Vorstandes. Die Mannschaft war nie an den Trainer angepasst worden, und der Trainer nie an die Mannschaft. Die Austria, einst bekannt für das schöne Spiel, probiert System für System, bis es endlich einmal passen wird, wie unter Peter Stöger.

Wohin führt der Weg der Austria bloß hin? Vielleicht auch heute, gegen Sturm, wieder einmal nicht zu einem Sieg. Leider, immerhin, der österreichische Fußball würde dringend eine Mannschaft benötigen, die Salzburg Paroli bieten könnte. Die Austria hätte den notwendigen Nachwuchs, und auch bald die notwendige Infrastruktur, um eine solche zu sein.

Das Pressing fühlt sich mittlerweile wohl in Wien-Favoriten. Noch muss intensiv daran gearbeitet werden, sich zwingende Torchancen zu erarbeiten. Oft versucht es der FAK mit der Brechstange, oder mit Überzahlspiel, dass aber sinnlos angewendet wird, weil die Laufwege nur selten zusammen passen.

Doch über allem steht das eine: Die Zeit. Gerald Baumgartner wird sie bekommen müssen. Ein System, wie er es spielen lassen möchte, ist auf nichts mehr angewiesen.

 

(MP/fanarea/17.8.2014)

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